Nach dem Ende des Wahlkampfs feiert die FDP ihren fast zweistelligen
Anteil an den Wählerstimmen als Resultat ihrer überzeugenden
Programmatik. Ein genauer Blick auf das Wahlergebnis offenbart
jedoch, dass sich ihr Zuwachs von 2,4% mit dem Stimmensplitting
von CDU-Anhängern erklären lässt. Wie bei
den letzten Wahlen hat das Volk mehrheitlich links gewählt.
Wie kommt es, dass liberale Konzepte wieder chancenlos geblieben
sind? Vielleicht, weil die FDP eigentlich keine liberale
Partei ist.
Liberale
misstrauen dem Staat als bürokratischem Beamtenapparat,
der Macht konzentriert und zur Finanzierung seiner Aktivitäten
Eigentum stehlen muss. Das Diebesgut heißt in diesem
Zusammenhang "Steuern" und seine Opfer euphemistisch
"Staatsbürger". Um seine Macht auszuweiten,
erfindet der Staat immer neue Aufgaben, die er angeblich
hoheitlich wahrnehmen müsse. So waren seine Kernaufgaben
ursprünglich auf Justiz und Landesverteidigung beschränkt.
Inzwischen ersetzt zunehmend ein Sozialstaat unseren Rechtsstaat.
Es ist bezeichnend, dass im jüngsten Bundeshaushalt
ganze 127 Mrd. EUR für "Arbeit und Soziales"
eingeplant sind, aber zusammen nur 28 Mrd. EUR für
Verteidigung, Inneres und Justiz. Die sozialen Sicherungssysteme
beanspruchen bereits 40% des Bruttosozialprodukts, weil
sie mit echten Versicherungsleistungen nichts zu tun haben,
sondern durch zusätzliche Steuern finanziert werden,
die "Sozialbeiträge" genannt werden.
Die
wahren Kosten des Sozialstaats sind vermutlich noch höher
und werden durch inflationäre Papiergeldpolitik der
Zentralbank gedeckt. Für Liberale sind das unerträgliche
Ausmaße einer Staatsmacht, die anstelle von sozialer
Sicherheit lediglich Massenarbeitslosigkeit produziert hat.
Vertreter der FDP haben es im Wahlkampf aber vermieden,
dieses Problem offen anzusprechen und zogen es vor, das
Steuerkonzept der FDP gegen das liberalere Flat-Tax- Modell
von Paul Kirchhoff zu verteidigen.
Warum
hat die FDP nicht offensiv für mehr freie Marktwirtschaft
geworben? Die freie Marktwirtschaft schafft die Grundlage
für ein Leben in Freiheit und Wohlstand, weil der Markt
eigenverantwortliches Handeln und nachhaltiges Wirtschaften
fördert. Der Staat hat kein Interesse an der wirtschaftlichen
Unabhängigkeit seiner Untertanen, weil er sie dann
nicht mehr beherrschen kann. Er fördert deshalb Verschwendung
und Armut. Uneingeschränkter Freihandel ist letztlich
sozialer als jede Manifestation einer "sozialen"
Marktwirtschaft. Die Logik der Freiheit gibt die Reformagenda
klar vor: Massive Steuerentlastungen durch Ausgabenkürzung,
radikale Rückführung des Sozialstaats, Aufhebung
des Geldmonopols, Verteidigung der Bürgerrechte, Privatisierung
von Ausbildungsstätten und die Bekämpfung der
machtpolitischen Zentralisierung Europas.
Gewiss,
das Wahlprogramm der FDP sieht die Vereinfachung des Steuersystems
und eine Entbürokratisierung des Sozialstaats vor.
Aber es lobpreist den Staat als sinnvolle Einrichtung, um
für die "Sicherung von Chancen- und Leistungsgerechtigkeit
für jeden Menschen" zu sorgen. Tatsächlich
verfolgt er nur das Ziel, seine Macht auf Kosten unserer
Freiheit auszubauen. Durch diesen Irrtum fordert die FDP
nicht nur weniger als Liberale, sondern möchte an der
staatlichen Enteignungspraxis sogar festhalten: Ihr Wahlprogramm
sieht allen Ernstes die Beibehaltung des Kündigungsschutzes
(mit Verlängerung der Probezeit) sowie der betrieblichen
Mitbestimmung (mit Anhebung der Betriebsgröße)
vor und stellt den "bedarfsgerechten" Ausbau von
öffentlichen Kindergartenplätzen sowie die Schaffung
kostenloser Betreuungsplätze in Aussicht. So verliert
die FDP die Rechtfertigung für echte liberale Reformen
und setzt schließlich ihre Glaubwürdigkeit aufs
Spiel.
Die
FDP könnte Vorkämpfer für die Sache der Freiheit
sein, wenn sie wieder lernt, dem Staat zu misstrauen. So
ist und bleibt sie nur das kleinste Übel unter ihren
antiliberalen Mitbewerbern, deren "Reformpolitik"
sich bereits in der Verlagerung der Steuerlast von einem
Bevölkerungsteil auf einen anderen erschöpft.
Nach dieser Wahl sollte die FDP nicht wieder nur Steigbügelhalter
einer auf Umverteilung und Enteignung gerichteten Politik
sein. Besser wäre es, wenn sie die Rolle als Oppositionsführer
annähme und sich mit einer liberalen Schärfung
des Programms überzeugend als reformorientierte Freiheitspartei
profilieren würde.
Zuerst
veröffentlicht im Berliner FDP-Organ liberal-central,
Oktoberausgabe 2005. Gernot Kieseritzky ist der Berlin-Koordinator
und Webmaster der Libertären
Plattform der FDP.