Ein Gegenplädoyer
zu Nouwrousian/Hartwich: „Die
Irrtümer des Hans-Hermann Hoppe“
Hans-Hermann Hoppe
provoziert. Dies ist alles andere als eine neue Erkenntnis,
stammt sie doch bereits von seinem großen Lehrmeister,
dem leider viel zu früh verstorbenen spiritus rector
der libertären Bewegung, Professor Murray
Rothbard. Hoppes Aussagen sorgen für reichlich Streitpotential
– auch und gerade unter denjenigen, die sich den Kampf
für die Freiheit auf die Fahnen geschrieben haben. Hoppe
gerät – wie übrigens vor ihm auch bereits
Friedrich von Hayek – immer wieder in Situationen, in
denen er zwischen seinem eigenen, konservativen Lebensstil
und der von ihm vertretenen libertären Theorie nicht
deutlich genug unterscheidet. Daher gibt es zweifellos Anlass
zu berechtigter Kritik an Hoppe, und auch ich stehe ihm nicht
ganz unkritisch gegenüber, erscheint mir doch ein Teil
seiner Lehre im Vergleich zu der des unvergleichlichen Murray
Rothbard eher ein Rückschritt zu sein.
Dennoch
sollten zwei Dinge klar sein: Nicht jede Kritik an Hoppe ist
fundiert und berechtigt. Und bei weitem nicht jeder, der sich
„liberal“ nennt, ist ein Freund der Freiheit.
Und kommt nun beides zusammen – scharfe Kritik an Hoppe
von (zumindest selbsternannten) Liberalen – sollte man
doppelt gründlich prüfen, von wem hier welche Kritik
und warum geäußert wird. Denn fest steht: Wenn
zwei Seiten für sich in Anspruch nehmen, für die
gleiche Sache zu kämpfen – in diesem Fall die Freiheit
–, aber beide dafür in zumindest vielen Punkten
gänzlich konträre Lösungen vorschlagen, scheint
zumindest eine der beiden Seite nicht die Freiheit zu wollen.
Zu
diesem Schluß kommen auch die beiden nach eigener Aussage
klassisch-liberalen Juristen Bijan Nouwrousian und Oliver
Marc Hartwich, wenn sie in ihrer Kritik „Die
Irrtümer des Hans-Hermann Hoppe“ – eine
Antwort auf dessen Vortrag beim Seminar "Libertäre
und Liberale" in Gummersbach – zu dem Ergebnis
kommen, Hoppes Libertarianismus [Anm.: Die Autoren verwenden
hier als Übersetzung für das englische „libertarianism“
den Begriff „Libertarismus“] sei „genau
das Gegenteil des Liberalismus und eine Gefahr für die
Freiheit“ (S. 1). Ich werde im Folgenden den Versuch
unternehmen, diese Behauptung nicht nur zu widerlegen, sondern
darüber hinaus ihr Motiv und die Methodik der Autoren
herausstellen, und dabei belegen, dass nicht etwa die Anarcho-Kapitalisten,
sondern Pseudo-Liberale nach dem Vorbild der Herren Nouwrousian
und Hartwich in diesem Fall die eigentlichen Apologeten des
Zwangsmonopolstaates und damit Feinde jeder Freiheit sind.
Wer
ihre polemische Kritik liest, merkt auf den ersten Blick,
dass es sich bei den Autoren um Deutsche handelt. Niemand
sonst wäre so perfekt in der Lage, die „Faschismuskeule“
als Mittel der politischen Diskreditierung zu gebrauchen.
Gelingt es heute in Deutschland einem politischen Agitator,
seine Gegner irgendwie in die Nähe von Hitler und den
Nazis zu bringen, hat er faktisch in den Augen der breiten
Öffentlichkeit schon gewonnen, denn damit steht sein
Gegenüber in der Ecke der puren Essenz des Bösen.
So ist es auch nicht erstaunlich, dass man bei der Lektüre
des Textes insgesamt nicht weniger als zehnmal auf die Begriffe
„Nazi“, „rechtsextrem“, „rechtsradikal“
und „totalitär“ stößt. Dabei schrecken
die beiden Juristen überraschenderweise nicht einmal
vor der Nutzung dessen zurück, was man in ihrem Fach
mindestens Hörensagen, unter Umständen sogar üble
Nachrede nennt, schreibt doch der Autor Hartwich in der seinen
Text begleitenden Email, dass ihm jemand berichtet habe, Hoppe
hätte in einem obskuren „kleinen Kreis“ gesagt,
„Leute wie Karl Popper“ hätten „von
den Nazis vergast werden sollen“ [Anm. im Original auf
Englisch, Übersetzung von mir].
Auch
hätten die beiden anarchokapitalistischen Gummersbach-Referenten
Hoppe und Jörg Guido Hülsmann kein Problem mit dem
Nachdruck (offenbar libertärer) Artikel in Magazinen
von „Holocaustleugnern“ keine Probleme gehabt,
ja Hülsmann sogar die unerhörte Gegenfrage gestellt,
warum eigentlich „Holocaustleugner nicht liberal sein“
könnten. Dies passt natürlich ins Bild, denn schließlich
ist Hoppe in der Vergangenheit bereits mehrfach durch Äußerungen
aufgefallen, die ihm den Vorwurf eingebracht haben, intolerant
und schwulenfeindlich zu sein. Auch die Autoren widmen diesem
Thema mehrere Absätze in ihren Ausführungen, wenngleich
sie am Ende ihre eigene Anklageschrift dadurch notgedrungen
relativieren müssen, dass ja tatsächlich ein Holocaustleugner
nicht zwingend anti-liberal sein müsse, ABER es natürlich
völlig unzweifelhaft doch so sei, dass in der Praxis
die Holocaustleugner diejenigen seien, die die Naziregentschaft
reinwaschen wollten, also implizit gesagt selbst Nazis seien
(S. 14).
Aber
bevor wir Hoppe nun der Heiligen Demokratischen Inquisition
vorwerfen und verbrennen lassen, schauen wir einmal genauer
hin, was die beiden Ankläger da alles durcheinander bringen.
Zunächst möchte ich feststellen, dass ich persönlich
Hoppes Äußerungen über Homosexuelle und Co
eher als Provokation auffasse. Es ist aber müßig,
darüber zu diskutieren, da weder ich noch die beiden
Herren Autoren in den Kopf von Hoppe hineinschauen können,
und zumindest ich mich auch nicht zum Hobby-Psychologen berufen
fühle. Nehmen wir also für einen Moment mal an,
Hoppe sei ein intoleranter, homophober Rassist, und er habe
deshalb nichts gegen Holocaustleugner, weil ja auch die –
auch dies können wir wieder ungeprüft übernehmen,
weil es irrelevant ist – Antisemiten und damit Rassisten
sind. Wir stehen also nun vor der Frage, ob jemand, der keine
Schwulen, keine Juden, keine Demokraten, Kommunisten, meinetwegen
auch keine Frauen, Kinder, Christen, Neger und Behinderte
mag, ob also eine solche Person zwingend antiliberal im Sinne
von gegen die Freiheit sein müsse. Warum sollten sie?
Wenn
ich meinen Nachbarn hasse, wird er dadurch in seiner Freiheit
oder seinem Eigentum verletzt? Nein, keineswegs. Wenn Hoppe
Schwule nicht mag – schmälert das die Freiheit
der Schwulen? Nein, wie denn auch. Wenn jemand den Holocaust
leugnet und Juden hasst – schadet das den Juden? Die
Antwort kennen wir bereits. Erst, wenn ich hergehe, und meinen
Nachbarn mit dem Baseballschläger eins überbrate
– erst dann verletze ich seine Freiheit, das heißt,
sein Selbsteigentum. Meine Meinung und ihre Äußerung
tangiert ihn überhaupt nicht. Und hier schaffen wir auch
den Übergang zu Hoppes anarchokapitalistischen Gesellschaften:
Hier könnte tatsächlich jeder so leben, wie es ihm
gefällt. Rassisten könnten sich ihre arisch-befreite
Zone auf ihrem Eigentum errichten und morgens mit Hitlergruß
das Hissen der Reichskriegsflagge begleiten. Schwulenfeinde
könnten ein großes Schild an ihre Tür hängen:
„Kein Zutritt für Schwuchteln!“ Und die Juden
und die Homosexuellen und all die anderen könnten das
gleiche mit Nazis oder sonst wem machen, solange keiner Leben,
Freiheit und Eigentum des anderen verletzt. Wie sieht es dagegen
mit dem aufrechten Demokraten aus, wie ihn die Autoren auf
Seite 14 als Gegenbild darstellen, das Grundgesetz unterm
Arm und ein schwarz-rot-goldenes Funkeln in den Augen? Er
ist ein Feind der Freiheit, jeder Freiheit, denn Demokratie
ist Herrschaft, illegitime Herrschaft von Menschen über
Menschen, die Diktatur der Mehrheit über die Minderheit.
Alleine dadurch, dass er sich anmaßt, in irgendeiner
Form jemand anderem durch Wahl oder sonstige Entscheidung
vorzuschreiben, wie dieser zu leben habe – und sei es
nur, ihn zu zwingen, kein Rassist zu sein – ist er nichts
anderes als ein Sklavenhalter.
Die
Autoren erkennen dies natürlich nicht, sind ihre Kenntnisse
in Rechtsphilosophie doch niemals über die universitäre
Staatsrechtfertigungslehre hinausgekommen. Da wird Hoppes
„natürlicher Ordnung“ schon mal ernsthaft
das lächerliche Konstrukt des „Gesellschaftsvertrags“
gegenübergestellt. Wann, meine Herren, hat den denn wer
unterschrieben? Ich für meinen Teil habe jedenfalls dem
vom Parlamentarischen Rat unter dem Druck fremder Besatzungsstreitkräfte
ausgearbeiteten „Grundgesetz für die Bundesrepublik
Deutschland“ nie zugestimmt. Dennoch hat es angeblich
Geltung für mich, weil ja alle Menschen, quasi ohne es
zu wissen, freiwillig diesen ominösen Gesellschaftsvertrag
unterschrieben haben. Eine rechtlich völlig unhaltbare
Argumentation, auf die die Autoren nur verfallen, weil sie
offenbar der Meinung sind, Hoppe und der Anarchokapitalismus
seien irgendwie von Himmel gefallen. Dass der amerikanische
Jurist Lysander
Spooner in seiner genialen Abhandlung „No Treason:
The Constitution of No Authority“ [im Deutschen erschienen
als „Kein Landesverrat. Die Verfassung besitzt keine
Autorität“, espero, Berlin 2004] bereits vor über
150 Jahren die Idee des Gesellschaftsvertrags so gründlich
und vernichtend widerlegt hat, dass sich diejenigen, die sie
heute noch verwenden, eigentlich schämen sollten –
das wissen die beiden Herren Musterjuristen natürlich
nicht.
Überhaupt
scheinen die beiden in ihrer Studienzeit in den Vorlesungen
zur Rechtsphilosophie entweder geschlafen oder gefehlt zu
haben, sonst würden sie auch Hoppes Methodik, die er
angeblich aus den Wirtschaftswissenschaften auf die Gesellschaftsphilosophie
übertragen hat (S. 3), zweifellos wiedererkennen –
immerhin ist es methodisch die gleiche, die auch Grundlage
für die Rechtsphilosophie Immanuel Kants ist, so wie
er sie in seinen „Metaphysischen Anfangsgründen
der Rechtslehre“ darlegt. Recht ist laut Kant „der
Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des
einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen
Gesetz der Freiheit vereinigt werden kann“. Ich stelle
fest, dass dieser Satz nur für das libertäre Vernunftrecht
zutrifft – für alle anderen Rechtsauffassungen
keinesfalls. Diese Denktradition scheint an den Autoren aber
vorübergegangen zu sein, sonst würden sie sich keinesfalls
derartig an dem Begriff der „natürlichen Ordnung“
stoßen; schließlich hat Recht für deutsche
Juristen gefälligst das zu sein, was der Staat an Befehlen
erteilt. Keineswegs könnte sich die Rechtsordnung schon
aus der Natur des Menschen ergeben. Und wenn man ein Rechtssystem
gar noch – wie absurd! – mit Hilfe der reinen
Vernunft aufzustellen gedenkt, dann steht das natürlich
gefälligst sofort unter Ideologieverdacht.
Auch
ansonsten scheinen mir die beiden Herren unter einem nicht
zu übersehenden Theoriedefizit zu leiden. Dafür,
dass zumindest Hartwich sich Diplom-Ökonom nennt, hat
er erstaunlich wenig Ahnung von der zwangsläufigen Ineffizienz
von Monopolen. Der Staat steht als Sicherheitsanbieter nicht
im Wettbewerb – wie und warum sollte er effizient Verbrechen
bekämpfen? Wegen der Verwaltungsgerichtsbarkeit? Dieser
Idee folgend könnte man auch annehmen, der Sozialismus
würde wunderbar effizient funktionieren, wenn man nur
genügend Kontrolleure einstellte. Zwangsmonopole sind
immer ineffizient, daran führt kein Weg vorbei. Und genau
diese Einsicht war es, die die Minimalstaatsliberalen seinerzeit
erstmals ihren Götzen „Staat“ hinterfragen
ließ – der belgische Liberale Gustave de Molinari
setzte in seiner Abhandlung „Über die Produktion
von Sicherheit“ ein epochales Meisterwerk, moderne Ausführungen
dazu finden sich insbesondere bei David Friedman. Dessen Lektüre
empfiehlt sich für die beiden Autoren schon deshalb,
weil sie Hoppes „natürlicher Ordnung“ unterstellen,
es habe sie noch nie gegeben. Friedmans Ausführungen
über das mittelalterliche Island würden sie eines
besseren belehren. Wobei an dieser Stelle noch einmal darauf
hingewiesen sei, dass sie selbst es sind, die mit dem Gesellschaftsvertrag
einer Fiktion anhängen, die so nirgends existiert hat
und nur dazu dient, auf Umwegen den Staat irgendwie doch noch
mit dem natürlichen Recht zu versöhnen.
Da
wir das Thema „Verwaltungsgerichtsgerichte“ gerade
angeschnitten haben, auch hierzu noch eines. Verwaltungsgerichte
urteilen keineswegs, wie die Autoren glauben, gegen den Staat.
Denn Verwaltungsgerichte machen genau das, was in staatlichen
Gesetzen steht – sie schützen nicht den Bürger,
sondern letztlich nur die Autorität des Gesetzgebers
vor der Verwaltung. Keine sehr heroische Tat, wie mir scheinen
will.
Da
nun die beiden Herren aber ohnehin einer sehr teleologischen
Rechtsauffassung anzuhängen scheinen, ist noch zu fragen,
was denn an ihrer Kritik über die Non-Funktionalität
einer anarchokapitalistischen Gesellschaft aus dem Blickwinkel
der Juristen zu sagen ist. Zunächst einmal greifen die
beiden Juristen hier erneut auf einen sehr zweifelhaften Trick
zurück, nämlich auf einen sog. Strohmann. Das ist,
vereinfacht gesagt, ein Stilmittel, bei dem man, statt auf
den Gegner bildlich gesprochen auf eine Strohpuppe einschlägt.
Statt also auf Hoppe einzugehen, greift man etwas auf, was
man in seine geistige Nähe bringt und widerlegt dann
dies – statt Hoppe. So geschehen ab Seite 8, wo Hoppe
verantwortlich gemacht wird für die sinngemäße
Aussage mal wieder eines anonym gebliebenen Seminarteilnehmers,
dass es ohne Staat kein Verbrechen mehr gäbe. Diese These
ist für jedermann so offensichtlich lächerlich,
dass es kaum wert gewesen wäre, sie wiederzugeben –
es sei denn, man kann sie in die intellektuelle Nachbarschaft
Hoppes bringen und ihn mitverantwortlich für solchen
Schwachsinn machen.
Dieses
durchschaubare Spielchen wiederholt man gleich noch einmal,
wenn man Hoppe die 68er-Vorstellung eines reinen Deliktrechts
bringt. Nun ist mir nicht bekannt, ob Hans-Hermann Hoppe tatsächlich
der Meinung ist, dass ein libertäres Strafrecht lediglich
auf der Schadenswiedergutmachung basiert; sollte es so sein,
wäre er damit eindeutig von der Meinung seines Lehrmeisters
Rothbard – der für die libertäre Bewegung
bei weitem bedeutender ist als Hoppe – abgewichen, der
zugleich neben die Wiedergutmachung die Vergeltung stellt.
Hierbei kann Vergeltung aber nicht, wie im derzeitigen staatlichen
Unrechtssystem bedeuten, dass das Opfer einer Straftat gezwungen
wird, mit seinen Steuern für den Täter Anwalt, Gefängnis
und Resozialisierungsprogramm zu bezahlen. Der biblische Rechtsgrundsatz
„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist der einzig ernstzunehmende
Ansatz für die Festlegung eines gerechten Sühnemaßes.
Tatsächlich
sind dies aber dann auch die einzig legitimen Funktionen eines
Strafrechts – die Kriminalitätsprävention
ist eine absurde und zutiefst totalitäre Idee, die dem
Staat das Recht und den Auftrag zubilligt, seine Bürger
zu erziehen. Überhaupt ist sie, wie Murray Rothbard feststellt,
in sich unlogisch, denn da Menschen aus Gewissensgründen
bei weitem eher einen Kaugummi klauen, als einen Mord zu begehen,
müsste der Präventionsidee folgend auf den Diebstahl
eines Kaugummis – und auf Falschparken! – die
Todesstrafe stehen, auf Mord dagegen nur einige Monate Bewährungsstrafe.
Haben
sie keine Strohmänner mehr, bemühen die Autoren
absurde Beispiele von Satanisten, die mit einer Frau einen
Vertrag schließen, dass diese für sie als Brutkasten
für ein Kind dient, welches dann von den Satanisten als
Neugeborenes geopfert werden kann. Leider ist das Beispiel
noch nicht absurd genug, um es nicht problemlos aus libertärer
Sicht zu beantworten. Solange das Kind noch nicht geboren
ist, hat es schlicht keine Rechte. Diese Einsicht findet sich
sogar im auf römisches Recht fußenden BGB: „Die
Rechtsfähigkeit eines Menschen beginnt mit der Vollendung
der Geburt.“ Solange das Kind sich im Bauch der Mutter
befindet, kann es also nicht Rechtsträger sein. Dennoch
wird dem Satanisten keine Möglichkeit bleiben, sein Neugeborenenopfer
zu bringen – denn ist das Kind erst mal geboren, ist
es selbstverständlich Eigentümer seiner selbst und
haben die Eltern nur noch treuhänderische Befugnisse,
bis es seine Eigentumsrechte in vollem Umfang selbst ausüben
kann. Der Vertrag ist somit nichtig. Ja es wäre sogar
ein solcher Vertrag nichtig gewesen, der die Mutter verpflichtet
hätte, sich nach der Geburt des Kindes, das die Satanisten
als neuen Erlöser feiern wollen, der keine Mutter hatte,
töten zu lassen, weil sie ihr Selbsteigentum nicht veräußern
kann – selbst, wenn sie es wollte.
Es
bleibt ein letzter Vorwurf, vielleicht der zentrale, den Anarchokapitalisten
immer und immer wieder zu hören bekommen. Ihre Idee sei
utopisch, die konkurrierenden Rechtsagenturen könnten
zu Verbrecherbanden werden und – ein Motiv von Hobbes
– permanenten Bürgerkrieg führen. Für
eine ausführliche Widerlegung fehlt hier der Platz und
mir die Zeit und die Lust, denn immerhin füllt diese
Widerlegung ganze Bücher. Nur soviel: Warum sollten die
Rechtsagenturen das tun? Sie würden dann permanent in
Konflikt mit allen anderen Agenturen geraten, die sich das
zweifellos nicht gefallen ließen. Sie hätten auch
keine Kunden mehr, weil sich die einfach neue Beschützer
suchen würden. Schon mal versucht, aus einem totalitären
Staat auszutreten...? Warum sollten Rechtsagenturen schneller
zur kriminellen Vereinigungen mutieren als Staaten zum Totalitarismus?
Warum sollte das gefährlich sein, schließlich wären
Machtmittel einer solchen mafiösen Vereinigung um ein
vielfaches kleiner als die heutiger Staaten, die unbeschränkte
und unbeschränkbare Herrschaftsmittel zur Verfügung
haben, Armeen, Polizisten – Staatsanwälte...
Kurz
gesagt, es gibt keinen Grund anzunehmen, dass solche Rechtsagenturen
häufiger ihre Möglichkeiten missbrauchen würden,
als es der Staat tut. Und wenn sie es täten, dann könnte
das niemals den Umfang erreichen, den staatliche Macht erreicht.
Mit diesen Argumenten führen die beiden Autoren sich
selbst ad absurdum: Sie stellen treffend fest, dass Macht
immer die Möglichkeit ihres Missbrauchs beinhaltet –
und wollen dann nicht mehr als die schrankenlose Macht eines
Gewaltmonopolisten.
Stellt
sich zuletzt die Frage, wie zwei intelligente Menschen zu
so einem Unsinn fähig sind. Freundlicherweise liefern
sie ihr Motiv am Ende des Textes gleich mit: Weil ihnen, den
beiden braven Staatsdienern, Hoppe den Spiegel vorgehalten
hat! Ich frage mich ja schon, wie man ernsthaft behaupten
kann, für die Freiheit zu sein, und gleichzeitig advocatus
diaboli, also Anwalt des Staates, sein kann. All die Angriffe
sind nicht mehr als eine beleidigte Verteidigungsschrift für
das Monopol, von dem die Autoren leben. Lieber verbeamtet
ein paar Drogenhändler und Steuersünder verfolgen,
als sich am Ende noch als Sicherheitsanbieter mit echten Kriminellen
herumschlagen müssen. Wie viel Verlogenheit, wie viel
Persönlichkeitsspaltung gehört eigentlich dazu,
sich als Inquisitor einen „Ketzer“ zu schimpfen?
Oder ist das am Ende einfach nur Taktik? Wieder einmal der
Wolf im Schafspelz?
Festzustellen
bleibt jedenfalls, dass nicht etwa Hans-Hermann Hoppe und
die Anarchokapitalisten die Feinde der Freiheit sind. Es ist
auch nicht sein Gesellschaftsbild, das wirren, realitätsfremden
Konstrukten entspricht. Und es sind auch nicht die Rassisten
und die Schwulenhasser, die eine Gefahr für die Freiheit
darstellen. Es sind demokratische Inquisitoren, die Recht
mit Erlaubnis und Freiheit mit Sklaverei verwechseln, welche
die wahren Feinde der Freiheit sind.
Thorsten
Boiger ist Mitglied der Libertären
Plattform der FDP
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